vom Sinn der Masken

«Er ist der einzige Freund, den ich auf der Welt habe», antwortete ich. Und das war die Wahrheit, wenn ich unter «Freund» jemanden verstehe, der durch die Maske hindurchsieht, die man trägt, und der weiss, woher man wirklich kommt.  (Schlussaussage aus Carlos Castanedas «Das Wirken der Unendlichkeit»)

Auf einer Reise nach den Aeolischen Inseln besuchten wir das Museo Eoliano di Lipari wo das archäologische Ausgrabungsmaterial des Aeolischen Archipels und Milazzo sehr schön und didaktisch hervorragend ausgestellt ist. Von der neolitischen bis zur Römerzeit sind hauptsächlich Keramikobjekte, Gebrauchsgegenstände, Grabbeigaben und Bestattungsarten der verschiedenen Kulturen, welche die Aeolischen Inseln seit dem V. Jahrtausend besiedelten, zu sehen.

In einem Saal sind Gegenstände aus der griechischen Klassik ausgestellt, viele attische, kampanisch und sizilianische Mischkrüge bemalt mit Szenen aus der griechischen Mythologie – ausserdem kleine Masken und Statuetten aus Terracotta, die den Verstorbenen als Grabbeigaben beigelegt wurden. Die Masken und Statuetten stellen fast ausschliesslich Theaterfiguren der griechischen Tragödie und Komödie dar, sie wurden den Verstorbenen beigegeben um Dionysos - auch Gott des Theaters - gut zu stimmen, denn er soll den in seine Mysterien Eingeweihten die himmlische Seligkeit verleihen.

Die Theatermasken aus den Tragödien des Sophokles und Euripides, sowie der Komödien des Menandro, zeigen eine Vielzahl von Verhaltenstypen in präziser Physiognomie und ausgefeilter technischer Ausführung.

Einige Zeit nach dieser Reise, nach dem Zyklus Stille Gesichter, bei dem es technisch um die Gestaltung von Kopfformen mit verschiedenen Materialien und thematisch um die Ausrichtung und Konzentration nach vorne ging, habe ich einige Kopien dieser Theatermasken angefertigt. Bei der Arbeit an den Masken fühlte ich eine Vertrautheit in der plastischen Wahrnehmung - verbal kaum auszudrücken - im physischen plastischen Prozess aber erlebbar.

Danach habe ich mich mit archäologischer Literatur befasst, speziell mit Marija Gimbutas «DIE SPRACHE DER GÖTTIN - Das verschüttete Symbolsystem der westlichen Zivilisation», um herauszufinden, seit wann die Menschen Masken herstellten und welche Bedeutung ihnen verliehen wurde.

Die ältesten Darstellungen von Masken finden sich im Alten–Europa* bereits in Ritzzeichnungen in Höhlen, auf Steinen und Knochen in der Steinzeit und auf Keramik, oft  in Form von Mischwesen Tier-Mensch und Mensch-Tier.

Masken haben und hatten rituellen Charakter, sie sind Fetische, Fürsprecher, Beschwörer des Unbekannten oder der Geister. Masken gehören einer magischen Welt an, also zu einem anderen kognitiven System als dem uns bekannten Vernunft- und Rationalitätssystem, sie wirken als Brücke zwischen dem Bekannten unserer Vernunftwelt und dem Unbekannten - dem magischen Aspekt derselben Welt.

Ich bin in einer Region ohne Maskentradition aufgewachsen und habe keine praktische Erfahrung in deren Einsatz. Meine Masken sind Darstellungen von magischen Objekten, sie können nicht getragen werden, aber sie könnten als Modell für solche dienen.  Jedenfalls werden die Masken vor dem Gesicht getragen  - sie verdecken die Person und lassen den Träger hindurchsehen in freier Sicht auf das Wahrnehmbare. Nur: wer ist der Träger?

*Britische Inseln über Mitteleuropa, Ostmitteleuropa, Mittelmeerraum, östlicher Mittelmeerraum und Anatolien bis Don und Wolga